Kunst im analogen Netzwerk

Ein außergewöhnliches Zelt als Ausgangspunkt für künstlerische und soziale Experimente

Vom 14. bis 17. Oktober hat das Pädagogisch-Theologische Institut zu einer inklusiven Kunstwerkstatt nach Bonn in das Haus der Begegnung eingeladen.

Gespannt auf die Kunstwerkstatt - das bunte Zelt ist Ausgangspunkt und Impulsgeber. Foto: Dorothee Schaper Lupe
Gespannt auf die Kunstwerkstatt – das bunte Zelt ist Ausgangspunkt und Impulsgeber. Foto: Dorothee Schaper

Ein außergewöhnliches, buntes Zelt war das Herzstück der Kunstwerkstatt „Den Faden aufnehmen“, die vom 14. bis 17. Oktober 2014 im Haus der Begegnung in Bonn stattgefunden hat. Seine Außenhaut ist eine „Netzhaut“ im wörtlichen Sinn. Sie wurde aus über 1000 gehäkelten Quadraten zusammengefügt. So entstand ein besonderes textiles Gewebe mit einem Durchmesser von 3,80 m, ein Gemeinschaftswerk, für das viele Menschen freiwillig ihre Handarbeiten beigesteuert haben.

Das Zelt: Ausgangspunkt für zahlreiche künstlerische Aktivitäten
Eine Woche lang stand das in Zusammenarbeit mit der Künstlerin Ute Lennartz-Lembeck entstandene Zelt jetzt im Zentrum von zahlreichen künstlerischen Aktivitäten. Die 55 Teilnehmerinnen und Teilnehmer der inklusiven Werkstatt, Menschen mit und ohne Behinderung, nahmen die Impulse der textilen Zeltstrukturen auf und setzten sie um: in soziale Kontakte, in Bewegung und Berührung, in Theater, Töne, Texte und Texturen. So entstand ein neues und erweitertes künstlerisches und soziales Gewebe.

In der digital geprägten Gesellschaft wächst das Bedürfnis
nach Begreifbarkeit und analogen Erfahrungen

„Wir leben in einer digitalisierten und medial geprägten Gesellschaft, in der das Leben zunehmend auf Bildschirmen stattfindet. Zugleich wächst das Bedürfnis nach Begreifbarkeit, Berührbarkeit, nach eigener Bewegung und Gestaltung, nach Materialien zum Anfassen, nach Techniken, die überschaubar sind und menschlichen Maßen entsprechen, denn Menschen brauchen analoge und elementare Erfahrungen. Dem trägt unser Workshop Rechnung“, unterstreicht Pfarrerin Sabine Ahrens. Sie ist Dozentin hier am Pädagogisch- Theologischen Institut der Evangelischen Kirche im Rheinland und hatte die Gesamtleitung der Kunstwerkstatt.

Menschen mit und ohne Behinderung gestalteten die kreativen Prozesse
gemeinsam und mit ihren individuellen Fähigkeiten

In den Workshops arbeiteten Menschen mit und ohne Behinderung auf Augenhöhe zusammen, in offenen, kreativen Prozessen und im lebendigen Austausch dessen, was jede und jeder an Fähigkeiten, Formen und Erfahrungen einzubringen hat. Sie kamen aus dem gesamten Raum der rheinischen Kirche, vom Niederrhein und aus dem Ruhrgebiet, aus Bad Kreuznach, aus Köln, aus Bonn.

Die Workshops wurden von Künstlerinnen und Künstlern geleitet
Erfahrene und qualifizierte Künstlerinnen und Künstler leiteten die Workshops: Sabine Lucke, Künstlerin und Kunstpädagogin aus Düsseldorf, Uta Püttmann, Tänzerin und Choreografin aus Bonn, Gundula Schmidt, Schauspielerin, Theologin und Theaterpädagogin aus Köln, und Philipp Seitzer, Musiker aus Gelsenkirchen. Sie alle schätzen die Qualität dieser Begegnungen, die oft unkonventionellen und überraschenden Herangehensweisen. Im gemeinsamen künstlerischen Arbeiten tritt erfahrungsgemäß die sogenannte „Behinderung“ zurück. Es entwickelt sich ein offener Erlebnisraum, ein künstlerisches und zugleich soziales Experiment.

Das Zelt: Ausgangspunkt für analoge Vernetzungen – und selbst ein Netz
Das Zelt war dabei Ausgangspunkt und Anker für zahlreiche analoge „Vernetzungen“ – und ist zugleich selbst ein Netz. Es atmet Licht und Luft, Klänge und Töne. Es ist durchlässig, farbig und festlich, artistisch, indianisch, nomadisch, andächtig, sakral. Wie eine Fülle von Fäden, sind auch unterschiedliche Themen und Bezügen hier miteinander verwoben. Sie reichen von Camping bis Kirchenfenster, von Notunterkunft bis Festzelt, von Königsmantel bis Kaffeewärmer und konnten während der Kunstwerkstatt mit Leben gefüllt werden.

Die Kunstwerkstatt war ein wichtiger Knotenpunkt des Bündnisse „Wir WOLLEn Vielfalt“
Die Kunstwerkstatt war ein wichtiger Knotenpunkt der zahlreichen Aktionen, die im Rahmen des 2012 initiierten Bündnisses „Wir WOLLEn Vielfalt“ der Evangelischen Kirche im Rheinland stattfinden. „Menschen mit und ohne Behinderungen brauchen soziale Netze, die tragfähig sind für das eigene Sosein mit den je eigenen Grenzen und offen genug für die eigenen Fähigkeiten. Dafür stehen die Arbeit im PTI mit dem Arbeitsbereich integrative Gemeindearbeit im Haus der Begegnung und unser Bündnis ‚Wir WOLLEn Vielfalt‘ ein. Gemeinsam üben wir uns in der Kunst des Zusammenlebens von verschiedenen Menschen“, sagt Sabine Ahrens.

Das Zelt: ein bewusst gewähltes Symbol der Aktion für Vielfalt und Inklusion
Das Zelt haben die Veranstalter ganz bewusst als Symbol gewählt: „Es stellt Verbindung her zum biblischen „Zelt der Begegnung“, einem mobilen sakralen Ort und Platzhalter für die Begegnung zwischen Gott und den Menschen auf der Wanderschaft. Auch dieses biblische Zelt war eine große kollektive Handarbeit, in die jeder seine Fähigkeiten und Gaben einbringen konnte. Es stärkte das Zusammengehörigkeitsgefühl der unterschiedlich befähigten Menschen, die gemeinsam auf dem Weg waren – und für dieselbe Idee stehen unser Zelt und unser Bündnis für Vielfalt und Inklusion.“

Weitere Informationen zum Bündnis für Vielfalt und Inklusion:
wir-wollen-vielfalt.de
Das Bündnis für Vielfalt und Inklusion befindet sich in gemeinsamer Trägerschaft des Pädagogisch-Theologischen Institutes der Evangelischen Kirche im Rheinland, der Pfarrstelle für Behindertenarbeit im Evangelischen Kirchenkreis An Sieg und Rhein und der Integrativen Gemeindearbeit im Evangelischen Kirchenkreis Gladbach-Neuss. Eine umfangreiche Internetseite informiert über die Aktion bietet zahlreiche weiterführende Materialien:
wir-wollen-vielfalt.de